Sybs Bauer hat sich ganz genau in der Natur umgesehen, dabei viele Erkenntnisse gewonnen und daraus einen neuen (aber irgendwie auch uralten) Ansatz für das kreative Arbeiten (»natürlich kreieren«) formuliert. Und zwar im Rahmen einer berufsbegleitenden Dissertation an der TU München. Aus der Dissertation ist dann das Buch »formatio naturalis« entstanden, das 2022 erschien.
Vorweg: Das Buch ist nicht der Promotions-Text, sondern wurde umfangreich überarbeitet. Dennoch ist es keine leichte Kost, die man mal eben so durchlesen kann. Deswegen hat es bei mir auch etwas länger gedauert, bis ich die Zeit und Ruhe fand, mich auf die »Spuren der Gestaltungskunst der Natur« zu begeben.
Sybs Bauer beeindruckte »die faszinierende und vielseitige Ästhetik, die allen natürlichen Formen innewohnt« und fragte sich, ob nicht die Natur mit ihren Gestaltungsprinzipien auch die Basis fürs die kreativen Design-Prozesse sein könnten. Ihre Suche nach Antworten führte eher zu immer mehr Fragen und führte zu tiefergehenden Recherchen in anderen Wissens- und Fachgebieten. Bionik, Evolutionstheorie, Quantenphysik, Psychologie sind nur vier Bereiche, mit denen sie sich beschäftigte, um umfassend den kreativen Akt zu verstehen und zu erkennen, dass »es einer neuen ganzheitlichen Herangehensweise und Kreativität bedarf«, die Dr. Sybs Bauer »formatio naturalis« nennt.
Ihre »Reise« beginnt Sybs Bauer in der Natur. Sie schaut sich Zellen und Gene ganz genau an und schreibt fundiert und zugleich Neugier weckend über die kleinsten Einheiten in der Natur. Ergänzend helfen Infografiken, das Gelesene zu verstehen. Im Anschluss daran werden einige Regeln der Natur beleuchtet, wie die Fibonacci-Zahlenreihe, der Goldene Schnitt oder die Regeln der Musterbildung. Diese »mathematisch-geometrischen Regeln der Natur« solle man »erlernen, um die dann wie ein Künstler zu brechen«.
Im zweiten Abschnitt geht es um den Menschen – der zwar eigentlich auch ein Teil der Natur ist, aber sich selbst ja als etwas besonderes ansieht: Er »erhöht sich (…) über die restliche Natur – und trennt sich von ihr.« Bauer wirft einen genaueren Blick auf unsere Sinne und erklärt, warum sie Kreative als »Gestörte« ansieht: »Kreative sind deshalb kreativ, weil ihr Gehirn auf Sinnesreise ( = Störungen) aller Art höchst offen reagiert“ (Zitiert nach: Lotter, Wolf: Die kreative Revolution).
Der dritte Teil ist die Konklusion aus den Forschungen von Sybs Bauer: »formatio naturalis« könnte man als »natürliche Formbildung« übersetzen. Sie entsteht durch die »Trinität von Bilden, dem Gebildeten und dem Macher«. Was den Ansatz von Bauer besonders macht: Sie definiert den kreativen Prozess viel umfassender und bezieht Unternehmenskultur, Führungskultur und Transformationsprozesse im Unternehmen mit ein. Eigentlich ganz einfach aber zugleich sehr komplex. Um es den Leser:innen einfacher zumachen, gibt Sybs Bauer abschließend noch »Anregungen für Ihren persönlichen Weg ins natürliche Kreieren«. Und der Einsatz lohnt sich: »Für mich liegt hier der Grundstein für eine fruchtbare Zukunft der Menschen (…) auf dem Planeten Erde.«
»Alles, was ich entdeckte, fasziniert mich gleichermaßen« schreibt Sybs Bauer an einer Stelle im Buch. Das merkt man. Das ganze Buch ist mit sehr viel Herzblut geschrieben. Und nicht nur das: Auch Gestaltung des Buches ist ungewöhnlich, anregend, überraschend – ohne dabei die Lesbarkeit zu beinträchtigen. Die ungewöhnliche, offene (ist das der Fachbegriff?) Fadenheftung, die Druckfarbe, schöne Zeichnungen und ungewohnte Infografiken machen so nicht nur den Text des Buches zu einem Erlebnis.
Besser als auf dem Klappentext kann ich mein Fazit nicht formulieren: formatio naturalis ist ein »gefühlvolles Sachbuch«, das »das Kognitive mit dem Emotionalen« verbindet. Keine einfache Lektüre, aber unbedingt lesenswert!
Dr. Sybs Bauer
formatio naturalis
Auf den Spuren der Gestaltungskunst der Natur und was wir von ihr lernen können
2022, ca. 275 Seiten, 49.95 €
Verlag kea edition
ISBN 978-3-00-072715-3
Link zum Verlag