Rezension: Schrift. Wahl und Mischung

Der erste Eindruck: Wow! Der Umschlag kommt hochwertig daher, mit tollem Material und leichter Prägung. Das erinnert eher an den Verlag Hermann Schmidt Mainz, aber »Schrift. Wahl und Mischung« ist im Rheinwerk Verlag erschienen. Auch ein Lesebändchen darf nicht fehlen. Die Vorfreude ist groß!

Und drinnen geht es nicht minder begeisternd weiter: Beim Blick ins Inhaltsverzeichnis habe ich den Eindruck, eher eine Doktorarbeit als ein Buch über Schriftmischung vor mir zu haben. Man merkt, dass die beiden Autoren Kai Büschl und Oliver Linke , die zusammen die Typefoundry Lazydogs betreiben, auch unterrichten. Denn ihr Buch beginnt mit den Grundlagen und erläutert in den ersten drei Kapiteln, wie Schrift formal zu betrachten ist, vermittelt technisches Verständnis und beleuchtet Schrift funktional. Die beiden schauen genau hin und nehmen sich »die reine Form vor, betrachten die Buchstaben bis ins Detail, lernen ihre Stilgeschichte kennen, unterscheiden Formprinzipien, klassifizieren und untersuchen Anmutung und Charakter.« Da kann auch ich einiges lernen (Den Begriff »Doppelalphabet« beispielsweise) oder mich wieder dran erinnern.

Im vierten Kapitel zeigen die beiden Autoren ein System auf, wie sie Schriftenprofile entwickeln, um so später leichter herausfinden zu können, ob eine Schrift zum jeweiligen Anforderungsprofil passt. Interessant ist hier, dass sie als ersten Punkt dabei die Lizenz und Technik heranziehen, denn »in der Praxis hat sich aber gezeigt, dass viele mühsam gefundene, ästhetisch passende Schriften an eben diesen scheinbar banalen Einschränkungen zu Lizenz oder Technik scheitern. Deshalb lohnt es sich durchaus, diese Kriterien schon gleich zu Beginn der Suche „abzuhaken“.«

Wofür eine Schrift passt, hängt vom Anforderungsprofil ab. Büschl und Linke haben im Kapitel »Schrift auswählen« eine Reihe von Profilen definiert, von „ungestörtes, lineares Lesen“ über „aktivierende Lesetypografie“, „digitale Interfaces“ bis hin zu „Kartografie“ und zeigen jeweils sehr detailliert, wie sie eine jeweils passende Schrift finden.

Anschließend folgt die (aus meiner Sicht) Königsdisziplin, oder wie es die beiden Autoren nennen: »Geheimwissenschaft«: Verschiedene Schriften passend zu mischen, ist nicht ganz einfach. Denn »für die gekonnte und ästhetisch befriedigende Zusammenstellung braucht es nicht nur typografisches Gespür, sondern auch Wissen über Proportion, Schrifthistorie, sichere Beurteilung des ästhetischen Ausdrucksvermögens und sogar ein gewisses Technikverständnis der jeweiligen Schriften.« Das Wissen hat man, wenn man das Buch bis hierhin durchgearbeitet hat, das typografische Gespür vielleicht dann auch. Verschiedene Anwendungsfälle werden skizziert. Natürlich der klassische Fall, wenn Überschrift und Fließtext (oder „Schauschrift und Textschrift“) unterschiedliche Schriften bekommen. Aber auch, wenn mehrere Schriftsysteme (z.B. Lateinisch und Arabisch) gemischt werden oder Schriftkompositionen, vor allem auf Plakaten oder bei Wortmarken.

Die beiden abschließenden Kapitel geben konkrete Praxistips zum „Einrichten“ und „Suchen und Finden“ von Schriften. Also Mikrotypografie, Hinweise zum Einsatz (selbst) modifizierter Schriften, einige Schriftenanbieter und Plattformen werden vorgestellt und Lizenzmodelle erläutert.

Mein Fazit: Kai Büschle und Oliver Linke haben ein umfassendes Buch zum Thema Schriftwahl und -mischung geschrieben, das keine Fragen offen lässt. Wer sich ausreichend Zeit nimmt, kann mit der Lektüre der knapp 400 Seiten ein tiefgreifendes Wissen erwerben und erlangt Sicherheit im Umgang mit Schriften und deren »Mischung«. Zudem ist das Buch sehr schön gestaltet und macht einfach Spaß, zu lesen, oder besser: durchzuarbeiten.

Klitzekleine Irritation: Im Impressum werden die beiden Schriften, die für Fließtext und Headlines dieses Buches gemischt wurden, nicht erwähnt. Vielleicht, weil die Autoren keine Werbung für ihre eigene Typefoundry machen wollten (oder durften?).
Zusatzinfo: Wie ich von einem der Autoren erfuhr, ist die entsprechende Angabe in der gedruckten Ausgabe zu finden. Die entsprechende Seite fehlt aber in der PDF-Version. Warum das so ist, konnte man mir nicht erklären.

Kai Büschl, Oliver Linke
Schrift. Wahl und Mischung
399 Seiten, 2021, gebunden, in Farbe
Rheinwerk Design,
Buch ISBN 978-3-8362-6171-5
eBook ISBN 978-3-8362-6172-2
jeweils € 49,90; im Bundle € 54,90
Buch auf der Website des Verlags


Hinweis: Für diese Rezension erhielt ich das Buch als PDF kostenlos zu Verfügung gestellt. Die Abbildungen im Beitrag sind somit Screenshots aus dem PDF.


Bilder:

Screenshots: Rainer Klute, aus dem Buch.

Buch: Rheinwerk Verlag