Rezension: »Prozess als Gestalt« von Fabian Kragenings

Nachdem ich das Buch »Vom Ethos in Nachhaltigskeitsberichten« gelesen hatte (hier die Rezension), stieß ich im Verlagsprogramm des transcript Verlags auf das Buch »Prozess als Gestalt – Parametrie als grundlegendes Funktionsprinzip von Gestaltung« [Link] von Fabian Kragenings. Der Titel und die Beschreibung zum Buch machten mich neugierig. Dort steht richtigerweise: »Die sich permanent verändernden Kontexte fordern eine grundlegende Anpassungsfähigkeit des Designs, die nur durch eine ganzheitliche Betrachtung der Dinge in ihren Zusammenhängen und ein gestalterisches Denken in Veränderungen sichergestellt werden kann“. Das bezeichnet der Autor als »Parametrie«.

Wer schon bei dem kurzen Ausschnitt vom Klappentext des Buches gestutzt hat, dem ging es ähnlich wie mir. Kragenings Buch ist seine Dissertation, und genauso ist die Sprache: Wissenschaftlich, theoretisch, mit langen Sätzen und meist besteht die Hälfte der Seite aus Fußnoten. Alles richtig für eine Dissertation, aber für mich – ehrlich gesagt – eher schwere Kost.

Wir kennen es aus der Praxis: Design ist ein Prozess, das eigentliche Gestalten ist nur ein Teil davon. Das BASE-Modell des Berufsverbands Kommunikationsdesign BDG [Link] hilft, sich dieser Tatsache immer wieder bewusst zu werden und auch bei der Kalkulation nichts zu vergessen. Kragenings geht noch einen Schritt weiter. Er betont, dass auch an den Bedingungen des Entwerfens gearbeitet werden muss: »In Bezug auf die Praxis des Entwerfens lässt sich daran ein Paradigmenwechsel nachvollziehen, der Gestalter nunmehr auf einer Metaebene wirksam werden lässt, wodurch stetig weniger am konkreten Entwurf gearbeitet wird, in ausführender Rolle, sondern an den Bedingungen des Entwerfens selbst, in kuratierender Rolle. Es wird entsprechend zunehmend erforderlich, nicht mehr in statischen Inhalten, sondern in dynamischen Beziehungen zu denken; nicht mehr in abgeschlossenen Produkten und Resultaten, sondern in anschlussfähigen Prozessen.«

Der von ihm eingeführte Begriff der Parametrie ist für ihn »das antizipatorische Wahrnehmen von Beziehungen und das Denken in Veränderungen bei gleichzeitigem erhalt einer gedanklichen Gesamtstruktur«.

Ein konkretes Beispiel, um das besser zu verstehen? Im Produktdesign beispielsweise sind Benutzerfreundlichkeit, Nachhaltigkeit; Produktionskosten oder Innovationsgrad einzelne Parameter. Für diese gilt kein absolutes »Ja« oder »Nein«, denn alle kommen in unterschiedlicher Ausprägung vor. Und diese Ausprägung der einzelnen Parameter kann gesteuert werden. »Höhere Produktkosten zugunsten gesteigerte Nachhaltigkeit? Weniger Menüpunkte zugunsten besserer Bedienbarkeit? Größerer oder kleinerer Radius?« Parametrie verkörpert so »nicht nur einen einzigen Zustand eines Entwurfs, sondern immer auch schon dessen Veränderung sowie die Beziehungen der Einflussfaktoren untereinander. […] Parametrie verspricht dementsprechend eine Flexibilisierung der Herangehensweise bei gleichzeitigem Erhalt einer übergeordneten Gesamtstruktur und ermöglich es dadurch, Gestaltungsprozesse als Gestaltbildungs-Prozesse zu verstehen.«

Ein interessanter Ansatz, unsere Arbeit als Designer:innen theoretisch zu untermauern und wissenschaftlich zu beschreiben! Mir ist das Buch allerdings zu »wissenschaftlich«, geht zu sehr in die Tiefe und bleibt im Theoretischen. Der Bezug zur Praxis kommt an einigen Stellen zwar vor, kommt mir aber auf den knapp 360 Seiten zu kurz. Aber das muss auch nicht sein, denn es ist ja eine Dissertation, wo vermutlich genau das gewünscht bzw. zwischen Doktorvater/-mutter und Doktoranden besprochen wurde.

Kragenings Resüme: »In dieser Hinsicht kann resümierend festgehalten werden, dass ein parametrisches Verständnis der Entwurfsgeschehnisse gleichzeitig Phänomene der Prozessualität, der Reversibilität und der Relationalität verhandelt – im spielerischen Abwägen der Komparative.«

Ich glaube, es wird nicht zuletzt bei diesem letzten Zitat deutlich, wo ich Potenzial sehe, das Buch eine größeren Leser:innenschaft nahe zu bringen. Ich persönlich würde mich über eine praxisnahe Variante des Textes freuen, die uns Designer:innen in kompakter (bzw. zumindest kürzerer) Form Parametrie vermittelt und uns so unterstützt, über unsere sich stetig wandelnde Tätigkeit nachzudenken, diese in einem größeren Kontext zu sehen – und besser zu werden. Für alle, die in das Thema so richtig tief einsteigen wollen, ist das Buch der richtige Anfang.

Interessanter Nebenaspekt: Zu der Promotion gehörte auch ein Praxisprojekt. Fabian Kragenings hat dazu 2018 den »Design Iteration Award« ausgerichtet. Die dazugehörige Website ist immer noch online: [Link]

 

Fabian Kragenings
Prozess als Gestalt
Parametrie als grundlegendes Funktionsprinzip des Gestaltens
362 Seiten
transcript Verlag
Buch: 49 € / ISBN 978-3-8376-6096-8
PDF: 48,99 € / ISBN 978-3-8394-6096-2
Link zur Buch-Site beim Verlag


Anmerkung: Ich erhielt das Buch für diese Rezension vom Verlag zur Verfügung gestellt,